Ob Schulbuch, Ausstellung oder Radiobeitrag zum 500jährigen Jubiläum: Wer sich mit dem Wormser Reichstag von 1521 beschäftigt, stößt zuerst auf Martin Luther. Luthers Verhör vor Reichstag und Kaiser in Worms mit der Weigerung, seine Lehre zu widerrufen, und seine anschließende Flucht auf die Wartburg sind vielen geläufig. Das vom Kaiser erlassene Wormser Edikt erscheint in diesem Zusammenhang vor allem als Dokument, aufgrund dessen Luther 1521/22 um sein Leben fürchten musste. Die Wirkung des Edikts ging aber weit über diese Situation hinaus. Es war nicht nur Ausgangspunkt für die Religionsgesetzgebung der folgenden Jahrzehnte im Reich, sondern auch Rechtsgrundlage für die Verfolgung Evangelischer in weiteren Ländern Europas.
Das Wormser Edikt basierte darauf, dass der Papst Luther als Häretiker verurteilt und einen kirchlichen Bann gegen ihn erlassen hatte. Es war üblich, dass ein solcher Bann auch in Reichsrecht umgesetzt wurde. Päpstliche Vertreter wie Hieronymus Aleander versuchten den Kaiser dazu zu bewegen, ohne Rücksprache mit dem Reichstag ein entsprechendes Edikt zu erlassen. Der Kaiser war aber in anderen Angelegenheiten auf die Kooperation der dort vertretenen Stände (Kurfürsten, Fürsten und Städte) angewiesen, die zum Teil Sympathien für die Reformation hatten. Er ließ sich daher auf den Vorschlag ein, Luther zunächst in Worms zu befragen. Auch als Luther sich weigerte, seine Lehre zu widerrufen, waren nicht alle Reichsstände bereit, eine reichsrechtliche Verurteilung zu unterstützen. Daraus ergab sich ein komplizierter Verhandlungsprozess, in dem unterschiedliche Textversionen des Edikts entstanden. Letztlich wurde das Edikt vom Kaiser erlassen und den Ständen lediglich zur Kenntnisnahme vorgelegt.
Mit dem Edikt wurde die Reichsacht über Luther und seine Anhänger verhängt: Sie verloren alle bürgerlichen Rechte und sollten gefangen genommen sowie an den Kaiser überstellt werden, sofern sie nicht widerriefen. Die gleiche Strafe sollte Personen treffen, die sie unterstützten oder beherbergten. Ebenso wurden Abfassung, Veröffentlichung und Besitz reformatorischer Schriften untersagt; vorhandene Schriften sollten vernichtet werden.
Im Reich war das Wormser Edikt Ausgangspunkt für eine Reihe von Religionsgesetzen: Der Kaiser und altgläubige Fürsten versuchten immer wieder auf eine konsequente Umsetzung des Edikts hinzuwirken. Mit der Reformation Luthers sympathisierende und sich nicht eindeutig positionierende Stände waren dazu aber nicht bereit. Da der Kaiser für seine Kriege gegen Frankreich und das Osmanische Reich die Unterstützung der Stände benötigte, wurden immer wieder Kompromissformeln zur Umsetzung (Speyerer Reichstagsabschied 1526) oder vorläufige Regelungen zur Duldung Evangelischer (Frankfurter Anstand, Nürnberger Anstand) verabschiedet, mit denen die Geltung des Wormser Edikts faktisch ausgesetzt wurde. Formal galt es aber bis zum Augsburger Religionsfrieden von 1555 weiter.
Zudem setzte der Kaiser das Edikt nicht nur für das Reich in Kraft, sondern auch für seine Erblande, die Gebiete in den Niederlanden und im heutigen Österreich, die Karl V. als Angehöriger der Familie Habsburg zustanden und die er selbst als Landesherr regierte. Besonders in den Niederlanden bildete das Edikt für Jahrzehnte die Rechtsgrundlage, auf der Evangelische als Häretiker verfolgt wurden. Viele wurden öffentlich hingerichtet; Bücher Luthers und anderer Reformatoren wurden verbrannt. Personen, die in Gefahr gerieten, wanderten oft in andere europäische Länder aus (Reich, Eidgenossenschaft, England), in denen bereits Religionsfrieden galten. In den Niederlanden entstanden solche Regelungen erst, als sich 1576/77 mehrere Provinzen gegen die Habsburger erhoben.
Das Wormser Edikt bildet also nicht nur den Auftakt zu den Religionsfrieden des Reichs, sondern ist auch in vielfacher Hinsicht mit den Religionsfrieden anderer europäischer Länder verwoben. Diese europäische Perspektive und die Verbindungen zwischen den Religionsfrieden verschiedener Länder stehen im Fokus des Projekts EuReD, das alle diese Texte in digitalen Editionen zur Verfügung stellen wird.