Die ontologische Essenz
Die systematische Modellierung historischer Dokumente ermöglicht eine tiefere Analyse ihrer Inhalte und Beziehungen. Frühneuzeitliche Friedensverträge sind komplexe Texte mit u.a. rechtlichen, politischen und sozialen Dimensionen. Durch eine ontologische Repräsentation dieser Dokumente mithilfe des »Conceptual Reference Model« of the »International Committee for Documentation«(CIDOC-CRM) können die Akteure, Orte und Ereignisse, die mit einem Vertrag verbunden sind, formal erfasst werden. Diese Strukturierung erlaubt es, Friedensverträge nicht nur als Texte zu verstehen, sondern auch als Knotenpunkte eines historischen Netzwerks. Dies soll die Erforschung bisher unbekannter Beziehungen der Friedenstexte zueinander ermöglichen.
Was versteht man unter einer Ontologie
In der Philosophie versteht man unter dem Begriff der Ontologie die Lehre des Seins, genauer: von den Möglichkeiten und Bedingungen des Seienden.[1] Die Informatik versteht darunter, nach Gruber, die »explizite formale Spezifikation einer gemeinsamen Konzeptionalisierung«. Sie beschreibt in diesem Bereich also ein spezifisches Set von Regeln zur Beschreibung von Begriffen und Konzepten. Es werden also explizite Formen auf ein konzeptionelles Modell reduziert. Verschiedene Wissensbereiche benötigen unterschiedliche Regeln, Vokabulare und Eigenschaften, sodass sich für verschiedene knowledge domains eine Vielfalt solcher Regelpaare herausgebildet haben, die für die jeweiligen Bereiche die Definition zugehöriger Phänomene anhand standardisierter Regeln und Formalisierungen ermöglichen. Im Bereich des Digitalen Kulturerbes hat sich seit September 2000 als solcher Standard das CIDOC-CRM herausgebildet, das ein Konglomerat aus Klassen (classes) und Eigenschaften (properties) bereitstellt, um Daten aus allen Bereichen des Kulturerbes formalisiert zu beschreiben.[2] Mit diesem conceptual reference model modellieren wir im Projekt nun unsere Religionsfriedensregelungen. Inzwischen liegt CIDOC-CRM in der Version 7.1.3 vor.
Die Essenz eines Religionsfriedens?
Das genaue Untersuchen von Religionsfriedensregelungen hat für uns einige Kernaspekte ergeben. Zunächst handelt es sich bei einem Religionsfrieden mindestens um ein Dokument, das zum einen über notwendige Elemente verfügt, zum anderen aber auch über optionale Aspekte verfügt.
Beginnt man also nun eine einzelne Regelung zu modellieren, so stellt man fest: Eine solche Friedensregelung ist stets ein Dokument, das bisweilen Rechtscharakter hat. Im CIDOC-CRM wird dem Dokument die Klasse E31 zugewiesen.[3] Jedes Dokument verfügt, im Sinne der persistenten und eindeutigen Zitierbarkeit über einen Identifier (E42).[4] Innerhalb eines jeden Dokuments werden Akteure (E39[5]) benannt, die entweder Personengruppen (E74[6]) oder Personen (E21[7]) sein können, wobei Gruppen aus zwei oder mehr solcher Personen bestehen können. Weiterhin muss eine Religionsfriedensregelung im Sinne des Projektes eine Zeitangabe enthalten, die entweder ein Datum oder eine Zeitspanne (E52[8]) sein kann, nämlich das Datum der Unterzeichnung (P92) und den Zeitraum der Gültigkeit, wobei letzteres über ein Start- und Enddatum definiert werden sollte (P82a und P82b). Weiterhin ist in irgendeiner Form Inhalt enthalten, der über von uns definierte Typen näher beschrieben wird.
Personen-Elemente werden in unserer Ontologie über einen Identifier (E42) eindeutig zugeordnet und innerhalb der Personen-Klassen werden Events (E5[9]), an denen die entsprechende Person teilgenommen hat durch die Relation P11_had_participant[10]ergänzt, die in der inversen Fassung genutzt wird: Person A hat an Ereignis B teilgenommen. Für Events (E5) gilt also die umgekehrte Beziehung Ereignis A hatte die Teilnehmerin B.
Analog zu den Personen-Elementen werden Events über einen Identifier definiert. Dabei betrachten wir Events als Realisierungen der Religionsfriedensschlüsse. So verweist etwa der Münsterer Vertrag von 1533 auf den Nürnberger Anstand aus dem Jahr 1532.
Ausblick
Im Laufe des Jahres soll dieses Modell eines Religionsfriedens im RDF Store der ULB Darmstadt veröffentlicht werden, wo ein SPARQL-Endpunkt computergestützte Abfragen ermöglichen wird. Hier wird es möglich sein, die Texte auch über eine Karte nach ihren Orten durchsuchen zu können. Weiterhin wollen wir die Nutzung der Ontologie mit Hilfe eines Beispiels an die breitere Community herantragen. Die beigefügte Karte ist ein erstes Beispiel für Anwendungsmöglichkeiten: Sie soll es Nutzerinnen und Nutzern erlauben die Edition über die annotierten Orte zu erforschen. Die ebenfalls beigefügte Tabelle enthält alle modellierten Elemente im Münsterer Vertrag. Solche »Essenzen« werden zukünftig für alle Texte verfügbar sein, wobei beim Klicken auf die entsprechende Entität sich eine ähnliche Tabelle für Personen, Orte und Events öffnen wird.
Anmerkungen
[1] Vgl. Gesellschaft für Informatik (GI), »Ontologie(n)«, 28. Juli 2005, https://gi.de/informatiklexikon/ontologien.
[2] »Home | CIDOC CRM«, zugegriffen 4. März 2025, https://cidoc-crm.org/.
[3] »E31 Document | CIDOC CRM«, zugegriffen 4. März 2025, https://site2024.cidoc-crm.org/Entity/e31-document/version-7.1.3.
[4] »E42 Identifier | CIDOC CRM«, zugegriffen 5. März 2025, https://cidoc-crm.org/Entity/e42-identifier/version-7.1.3.
[5] »E39 Actor | CIDOC CRM«, zugegriffen 5. März 2025, https://site2024.cidoc-crm.org/Entity/e39-actor/version-7.1.3.
[6] »E74 Group | CIDOC CRM«, zugegriffen 5. März 2025, https://site2024.cidoc-crm.org/Entity/e74-group/version-7.1.3.
[7] »E21 Person | CIDOC CRM«, zugegriffen 5. März 2025, https://site2024.cidoc-crm.org/Entity/e21-person/version-7.1.3.
[8] »E52 Time-Span | CIDOC CRM«, zugegriffen 5. März 2025, https://site2024.cidoc-crm.org/entity/e52-time-span/version-7.1.3.
[9] »E5 Event | CIDOC CRM«, zugegriffen 5. März 2025, https://site2024.cidoc-crm.org/Entity/e5-event/version-7.1.
[10] »P11 had participant | CIDOC CRM«, zugegriffen 5. März 2025, https://site2024.cidoc-crm.org/Property/p11-had-participant/version-7.1.1